Kann der Betriebsrat die Einführung eines Zeiterfassungssystems verlangen? (LAG Hamm, Beschluss vom 27.7.2021 – 7 TaBV 79/20)

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Nach der aufsehenerregenden Entscheidung des EuGH zu der Verpflichtung ein Zeiterfassungssystem im Betrieb einführen zu müssen (EuGH, Urteil vom 14.5.2019 – C-55/18 – CCOO) gibt es in der Rechtsprechung nun vermehrt Entscheidungen darüber, welche Folgen dieses Urteil auf die deutsche Rechtsprechung hat. So hatte das Arbeitsgericht Emden (Arbeitsgericht Emden, Urteil vom 20.2.2020 – 2 Ca 94/19) entschieden, dass Arbeitgeber nunmehr verpflichtet sind, ein Zeiterfassungssystem einzuführen und wenn sie das nicht tun, die fehlende Zeiterfassung zu seinen Lasten beispielsweise in Prozessen über Überstunden gewertet werden kann, so dass Arbeitnehmer insoweit teilweise erhebliche Beweiserleichterungen im Prozess erfahren können. Zwar wurde dieses Urteil vom Berufungsgericht (LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.5.2021 – 5 SA 1292/20) mit der Begründung aufgehoben, dass der EuGH zwar ein Entscheidungsrecht über Arbeitszeiten, nicht jedoch über Lohnangelegenheiten habe. Zwar ist diese Argumentation nachvollziehbar, jedoch können sich Rechte und Pflichten aus unterschiedlichen Bereichen aufeinander auswirken. Erfüllt ein Arbeitgeber nicht die Anforderungen an die Arbeitssicherheit, können diese Verstöße sich auch auf die Schadensersatzpflichten bzw. Entgeltfortzahlungspflichten des Arbeitgebers auswirken. Es bleibt daher spannend, wie sich das Urteil des EuGH insoweit in der Praxis auf Lohnstreitigkeiten auswirken wird. Eine Revision scheint insoweit beim Bundesarbeitsgericht bereits anhängig zu sein.

Eine weitere Facette könnte sich bereits vor der Gesetzesänderungen des Arbeitszeitgesetzes, die wegen des Urteils des EuGH auf jeden Fall erfolgen muss, bereits jetzt ergeben, wenn Betriebsräte die Einführung eines Zeiterfassungssystems bereits jetzt vom Arbeitgeber verlangen. Bislang wurde ein solcher Anspruch nämlich überwiegend von der Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 18.11.1989 – 1 ABR 97/88) abgelehnt, da es sich bei § 87 Abs.1 Nr. 6 BetrVG nach bisheriger Meinung um ein Kontroll- bzw. Abwehrrecht des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber handelte, um die Arbeitnehmer vor (unzulässiger) Überwachung durch einen Arbeitgeber zu schützen. Nach Ansicht des LAG Hamm (LAG Hamm, Beschluss vom 27.7.2021 – 7 TaBV 79/20) ist das jedoch nicht der Fall und dem Betriebsrat kommt insoweit ein Initiativrecht zu. Begründet wird diese der Rechtsprechung des BAG auf den ersten Blick widersprechende Rechtsauffassung mit dem Sinn und Zweck des § 87 Abs. 1 BetrVG mit Verweis auf die Gesetzesbegründung der Norm. Hiernach würde es sich gerade nicht um ein reines Abwehrrecht handeln, sondern auf Grund einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung des Wortlauts der Regelung müsse die Vorschrift weit ausgelegt werden, so dass dem Betriebsrat auch ein Initiativrecht bei der Einführung eines solchen Systems zustehen würde.

Tipp: Zwar wurde gegen den Beschluss des LAG Hamm bereits eine Revision eingelegt (BAG, Az. 1 ABR 22/21). Gleichwohl sollten Arbeitgeber sich auf eine solche, möglicherweise kostenintensive rechtliche Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat nur in Ausnahmefällen einlassen, da auf Grund der Verpflichtung des Gesetzgebers auf Grund des EuGH-Urteils ohnehin bald eine gesetzliche Verpflichtung zur Einführung eines solchen Systems bestehen wird. Durch eine solche Auseinandersetzung kann ein Arbeitgeber daher aller Voraussicht nach zwar die Einführung eines solchen Systems um einige Monate verzögern, aber wahrscheinlich auf Dauer nicht vollständig unterbinden können.