Lohnabrechnungen gefälscht, um einen Kredit zu bekommen – Kann eine Kündigung ausgesprochen werden? (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 19.08.2021, Az. 8 Sa 1671/19)

Können Straftaten, die außerhalb des Arbeitsverhältnisses begangen wurden, eine Kündigung rechtfertigen? Mit dieser Frage befasste sich das Landesarbeitsgericht Hamm in seinem Urteil vom 19.08.2021, Az. 8 Sa 1671/19. Ein Arbeitnehmer, der Mobilfunkverträge als kaufmännischer Angestellter vermittelte, ausfertigte und hierfür Provisionen erhielt, hatte sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgericht gefälschte Lohnabrechnungen machen lassen und die Einkommensverhältnisse seiner Ehefrau fehlerhaft angegeben, um einen Kredit zu erhalten. Hierfür hatte er u.a. sein tatsächliches Fixgehalt und mehrere Tausend Euro auf den Lohnabrechnungen erhöht. Als der Arbeitgeber hiervon durch eine Zeugenvernehmung der Strafbehörden erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin.

Das Landesarbeitsgericht hatte zu prüfen, ob ein sogenannter wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorlag, der eine außerordentliche Kündigung stützen konnte. Liegt ein solcher Kündigungsgrund vor, kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Das ist dann der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dessen Fortsetzung auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Ob solche Tatsachen vorliegen, prüfen die Gerichte in zwei Stufen. Zunächst wird geprüft, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, also typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. In einem weiteren Schritt werden dann die konkreten Umstände im Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien geprüft in Hinblick darauf, ob es dem Kündigenden zumutbar ist, das Beschäftigungsverhältnis bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung fortzusetzen.

Außergerichtlich begangene Straftaten können nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamm einen solchen Grund, der „an sich“ eine Kündigung auf der ersten Stufe rechtfertigt bilden, wenn sie nach objektiver Betrachtung geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der Eignung des Arbeitnehmers für die ihm obliegende Tätigkeit zu begründen. Das Landesarbeitsgericht führt insoweit aus:

„Voraussetzung ist (…) regelmäßig, dass das außerdienstliche Verhalten das Arbeitsverhältnis konkret berührt, etwa im Kontext der Arbeitsleistung oder aber im Bereich des personalen Vertrauens (…). Die Frage der weiteren Eignung des Arbeitnehmers bestimmt sich dabei im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art des begangenen Delikts und der konkreten Arbeitsaufgabe (…).“

Das Landesarbeitsgericht stellte insoweit fest, dass das Fehlverhalten eines kaufmännischen Angestellten, der konkret mit Vertragsabschlüssen befasst ist und der eine Straftat begeht, die insbesondere einen finanziellen Bezug und auf den Abschluss eines Vertrages zielt, „objektiv auf die fehlende Eignung“ des Arbeitnehmers schließen lässt. Es stehe insoweit zu befürchten, dass der Angestellte seine fehlende Rechtstreue aus dem Privatbereich auch im Arbeitsverhältnis zeigen würde. Das Gericht bejahte daher einen wichtigen Kündigungsgrund als solchen. Auch die zweite Stufe der Kündigung, die Umstände im konkreten Einzelfall, wurde als gegeben angesehen, so dass die Kündigung wirksam war.

Tipp: Außergerichtliches Verhalten kann grundsätzlich auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen. Die Grenzen hierbei sind leider nicht eindeutig in der Praxis zu ziehen. Hätte es sich vorliegend beispielsweise um einen Sachbearbeiter gehandelt, der nicht unmittelbar Verträge abschließt oder mit finanziellen Transaktionen befasst ist, wäre eine Kündigung wohl unzulässig gewesen. Auch ist fraglich, ob eine Kündigung zulässig gewesen wäre, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise in einem Supermarkt etwas gestohlen hätte. Die Ausführungen des Landesarbeitsgericht sowie die Grenzen sind insoweit an der entscheidenden Stelle leider sehr schwammig. Ein Vergleich zu Fällen mit einer Kündigung wegen eines Führerscheinentzugs zeigt, dass sich grundsätzlich eine konkrete Auswirkung auf das Beschäftigungsverhältnis durch den Verstoß ergeben muss (vgl. BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 984/06) oder zumindest ein konkreter Bezug zwischen Arbeitsverhältnis und Straftat bestehen muss. So führte das BAG in einer anderen Entscheidung vom 28.10.2010 – 2 AZR 293/09 aus:

„Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat, wenn etwa der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht (Senat 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – Rn. 21, aaO). Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen, dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden (Senat 27. November 2008 – 2 AZR 98/07 – Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; 23. Oktober 2008 – 2 AZR 483/07 – Rn. 58, aaO). Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig aus (Senat 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – Rn. 21, aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 690).“

Diesen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat das Landesarbeitsgericht anscheinend nicht in seine Urteilsfassung aufnehmen wollen, da es einen weiteren Tatbestand herangezogen hat, nämlich den Umstand, dass bei der Kreditvergabe vom Arbeitnehmer auch eine fehlerhafte Auskunft über das Einkommen seiner Ehefrau zur Kündigungsbegründung angeführt hat. Diese Auslassung bzw. die Heranziehung der Angabe der zu hoch angegebenen Einkommensverhältnisse der Ehefrau zeigen, dass das Landesarbeitsgericht hier letztlich eine deutliche Ausweitung der Kündigungsgründe vornimmt. In der Praxis sollte hoffentlich die Grenzziehung für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes bei einem außergerichtlichen Kündigungsgrund, die das Bundesarbeitsgericht vornimmt, auch von den Instanzgerichten beachtet werden. Die insoweit zumindest etwas klareren Grenzen führen zu einer höheren Rechtssicherheit. Das Landesarbeitsgericht hätte insoweit zumindest alleine auf die Vorlage der unzutreffenden Gehaltsabrechnungen abstellen können, die unzweifelhaft einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Auch die Zeugenvernehmung des Arbeitgebers hätte insoweit zur Herstellung eines Bezugs zum Arbeitsverhältnis ausgereicht. Die Heranziehung des Umstands der Angabe der Einkommensverhältnisse der Ehefrau hätte das Landesarbeitsgericht besser nicht vorgenommen. Insoweit sei auch auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Möglichkeiten einer Anfechtung bzw. Kündigung des Arbeitsvertrages in den Fällen der wahrheitswidrigen Beantwortung von Vorstrafen bei der Einstellung verwiesen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 270/11), wonach zwar die Falschauskunft als solche bei einer nur in Einzelfällen zulässigen Frage nach Vorstrafen eine Anfechtung oder Kündigung rechtfertigen bzw. begründen kann, aber nicht die Vorstrafe als solche. Nur dann kann eine Vorstrafe diese arbeitsrechtlichen Instrumente rechtfertigen, wenn eine sogenannte Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers insoweit bestand. Eine solche Pflicht ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts „an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände entweder dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder doch für die Eignung für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind.“