Recht haben und recht bekommen ist nicht immer dasselbe. Häufig bestehen in der Praxis Probleme für Arbeitgeber, erforderliche Kündigungsgründe im Sinne des § 1 KSchG vor Gericht nachweisen zu können. In diesen Fällen kann es sein, dass eine Kündigung unwirksam ist, weil der Arbeitgeber einen eigentlich begangenen Pflichtverstoß vor Gericht nicht durch Beweismittel nachweisen kann. In einem vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschiedenen Fall (Landesarbeitsgericht Niedersachsen 8. Kammer, Urteil vom 06.07.2022, 8 Sa 1148/20 https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE220033901&st=null&showdoccase=1) hatte der Arbeitgeber entgegen einer Betriebsvereinbarung eine Videoaufzeichnung des Eingangsbereichs des Betriebes über einen längeren Zeitraum aufgehoben und im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses, in welchem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Arbeitszeitbetrug vorgeworfen hatte, als Beweismittel vorlegt. Das Gericht hat diesen Beweisantritt nicht zugelassen und ein Beweisverwertungsverbot wegen der unzulässigen Aufbewahrung der Aufnahmen unterstellt. Letztlich konnte der Arbeitgeber den Betrugsvorwurf nicht darlegen und daher war die Kündigung unzulässig und unwirksam. In der Praxis sollte daher bei Kündigungen stets geprüft werden, ob Kündigungsgründe tatsächlich nachgewiesen werden können. Sollte das nicht der Fall sein, muss stets geprüft werden, ob ein Bestreiten der Vorwürfe sinnvoll ist.
Zum 01.10.2022 wird der Mindestlohn auf 12,- € pro Stunde erhöht (vgl. Drucksache 20/1408 (bundestag.de). Mit dem Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung gehen noch weitere gesetzliche Regelungen einher. Insbesondere verschiebt sich die Grenze der geringfügigen Beschäftigung von monatlich 450,- € auf 520,- €. Arbeitnehmer, die bislang in dem Bereich von 450,01 € bis 520,- € verdient haben, waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass grundsätzlich unter Berücksichtigung der Regelungen des Übergangsbereichs Sozialversicherungsbeiträge angefallen sind und nicht mit den pauschalen Abgaben wie im Bereich der geringfügigen Beschäftigung abgegolten werden konnten.
Die neue gesetzliche Regelung in § 454 Abs. 2 SGB III sieht vor, dass Arbeitnehmer in dem Bereich von monatlich 450,01 € bis 520,- € nun noch weiterhin bis zum 31.12.2023 sozialversicherungspflichtig bleiben, sofern weiterhin in diesem Lohnbereich ein Arbeitsverdienst anfällt. Aus dem Umkehrschluss zu dieser Regelung lässt sich ableiten, dass ab dem 01.04.2024 dann eine Sozialversicherungsfreiheit eintreten wird mit der Folge, dass viele Absicherungen (Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, etc.) danach nicht mehr bestehen werden. Wie eine Absicherung dann erfolgen kann, sollte individuell geprüft werden.
Für Arbeitnehmer, die hingegen diesen Schutz auch vorher nicht benötigen, besteht die Möglichkeit sich auf Antrag von der Versicherungspflicht ab dem 01.10.2022 befreien zu lassen, wenn das Arbeitsentgelt aus der bisherigen Tätigkeit in dem Bereich zwischen 450,01 € und 520,- € monatlich liegt. (§ 454 Abs. 2 SGB III: „Personen, die am 30. September 2022 in einer mehr als geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Absatz 1 Nummer 1 oder § 8a des Vierten Buches in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vier[1]ten Buches versicherungspflichtig waren, welche die Merkmale einer geringfügigen Beschäftigung nach diesen Vorschriften in der ab dem 1. Oktober 2022 geltenden Fassung erfüllt, bleiben in dieser Beschäftigung längstens bis zum 31. Dezember 2023 versicherungspflichtig, solange das Arbeitsentgelt 450 Euro monatlich übersteigt. Sie werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Der Antrag ist bei der Agentur für Arbeit zu stellen. Die Befreiung wirkt vom 1. Oktober 2022 an, wenn sie bis zum 31. Dezember 2022 beantragt wird, im Übrigen von dem Beginn des Kalendermonats an, der auf den Kalendermonat folgt, in dem der Antrag gestellt worden ist. Die Befreiung gilt nur für die in Satz 1 genannte Beschäftigung.“)
Am 20. Mai 2022 fegte ein Sturm über Paderborn, der in einigen Stadtteilen eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Viele Betriebe erlitten dabei solche Schäden, dass in den kommenden Wochen nicht mit einem normalen Geschäftsbetrieb zu rechnen ist. Hieraus ergeben sich für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber Fragen rund um Lohn, Arbeitstätigkeit und Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Einen ersten Überblick hierzu soll der vorliegende Ratgeber geben.
Muss der Lohn in der kommenden Zeit gezahlt werden, wenn durch den Sturm die Räumlichkeiten zerstört wurden?
Grundsätzlich muss kein Lohn gezahlt werden, wenn nicht gearbeitet wird. Jedoch hat der Gesetzgeber u.a. im § 615 BGB die Grundlage geschaffen, dass der Lohn weiter zu zahlen ist, wenn sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug befindet oder er das sogenannte Betriebsrisiko für den Arbeitsausfall trägt. Im Falle von höherer Gewalt und Naturkatastrophen wie zum Beispiel auch einem Sturm haben die Gerichte bereits mehrmals entschieden, dass solche Fälle dem sogenannten Betriebsrisiko zugerechnet werden. Daher haben Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf die Fortzahlung der Vergütung, wenn der Arbeitgeber auf Grund der Zerstörung oder Beeinträchtigung der Betriebsräumlichkeiten wegen des Sturms den Betrieb nicht aufrechterhalten kann und der Arbeitnehmer deswegen nicht arbeitet. Selbstverständlich gilt das nicht nur für Vollzeitmitarbeiter sondern auch für Teilzeitkräfte und natürlich auch Minijobber.
Generell möglich ist es selbstverständlich auch, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine einvernehmliche Lösung finden und beide Seiten sich auf eine vorübergehende Reduzierung des Arbeitsentgelts einigen. Zu beachten ist insoweit jedoch, dass hierdurch grundsätzlich kein Anspruch auf Arbeitslosengeld begründet wird und auch ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld nicht bestehen dürfte.
Sollte ein Arbeitgeber durch die Schäden und damit eine Betriebsunterbrechung in eine wirtschaftliche Schräglage geraten und Insolvenz anmelden müssen, sollten Arbeitnehmer daran denken, rechtzeitig einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit zu stellen. Hierbei geltend Fristen, die bei einer Nichtbeachtung dazu führen, dass letztlich kein Insolvenzgeld gezahlt wird. Auch sollte darauf geachtet werden, wenn das Arbeitsentgelt nicht gezahlt wird, die Ansprüche geltend gemacht werden sollten, damit ggfls. bestehende Ausschlussfristen nicht die Ansprüche untergehen lassen. Ausschlussfristen sind häufig in Arbeitsverträgen und Tarifverträgen geregelt. Nach diesen kann ein Anspruch ausgeschlossen sein, wenn der Anspruch nicht binnen einer in der Vorschrift bestimmten Frist geltend gemacht wird. Auch die Form, wie der Anspruch geltend gemacht werden muss, ist meistens in den jeweiligen Regelungen festgehalten.
Sollten Arbeitgeber eine Betriebsunterbrechungsversicherung haben, kann er ggfls. die Lohnkosten von der Versicherung erstattet bekommen. Auch wenn derzeit sicherlich die Aufräumarbeiten im Vordergrund stehen, sollten Arbeitgeber ihrer insoweit bestehenden Obliegenheit nachkommen, den Schaden unverzüglich zu melden, damit es zu keinen Problemen mit der Erstattung der Löhne kommt. Darüber hinaus sollten die Sachschäden ebenfalls einer insoweit bestehenden Versicherung gemeldet werden.
Müssen Arbeitnehmer bei Aufräumarbeiten mithelfen?
Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer nur die Arbeiten vornehmen, zu denen sie nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet sind. Da Arbeitsverträge den Tätigkeitsbereich meistens nur recht oberflächig festlegen und häufig auch sogenannte Versetzungsklauseln, nach welchen andere Tätigkeiten im Rahmen der Zumutbarkeit zugewiesen werden dürfen, vorhanden sind, kann der Arbeitgeber ggfls. eine Weisung nach § 106 GewO nach sogenanntem billigem Ermessen vornehmen.
Hierbei kommt es letztlich auf die jeweilige vertragliche Tätigkeit des Mitarbeiters und den Aufgaben, die aktuell zugewiesen werden sollen, an und muss individuell bestimmt werden. Insoweit ist jedoch auf jeden Fall zu beachten, dass in den meisten Fällen, abgesehen von Mitarbeitern von Baufirmen, sicherlich keine mehrtätigen Arbeiten bzgl. des Abtransports von Bauschutt oder ähnlichem vorgenommen werden muss. Zwar können im Rahmen von ersten Sicherungsmaßnahmen im Notfall, wie bei Zerstörrungen der Räumlichkeiten durch den jetzigen Sturm, Arbeitsaufgaben zugewiesen werden, die in „normalen“ Zeiten nicht zugewiesen werden dürfen. Hierbei darf es sich aber nur um erste Notfallmaßnahmen handeln. Aber selbst hierbei ist zu beachten, dass sich Mitarbeiter grundsätzlich nicht selbst in Gefahr begeben müssen, wenn die Räumlichkeiten beispielsweise einsturzgefährdet sind oder ein behördliches Betretungsverbot ausgesprochen wurde. Ob eine solche Situation vorliegt, muss individuell geprüft werden.
Letztlich muss jeweils im Einzelfall bestimmt werden, wo die Grenzen der zulässigen Weisung bzgl. der Arbeitstätigkeit liegen. Eine allgemeine Antwort und generelle Bestimmung der Grenzen ist daher nicht möglich. So würde es sicherlich eher zulässig sein, eine Reinigungskraft eine einzelne defekte Fensterscheibe entsorgen zu lassen, als sie größere, schwere Platten wegtragen zu lassen, wenn sie für normale Reinigungsarbeiten eingestellt wurde. Für Bürokräfte sind sicherlich größere Aufräumarbeiten, die die Bausubstanz betreffen, nicht zuweisbar. Aufräumarbeiten bzgl. der einzelnen Büromaterialen werden aber sicherlich grundsätzlich zulässig sein. Entsprechendes gilt für Verkäufer, die auch zuvor bereits Waren in den Räumlichkeiten „bewegt“ haben.
Sollte ein Betriebsrat im Betrieb existieren, ist dieser zumindest nach den absolut ersten Notfallmaßnahmen bei personellen Maßnahmen zu beteiligen.
Generell möglich ist es selbstverständlich, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber insoweit eine einvernehmliche Lösung finden und beide Seiten sich auf eine vorübergehende andere Tätigkeit einigen.
Kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden, wenn nicht gearbeitet werden kann?
Sollte zunächst nicht weitergearbeitet werden können, wird sich in einigen Fällen die Frage stellen, ob ein Arbeitsverhältnis beendet werden kann. Hierbei muss grundsätzlich zunächst zwischen Betrieben, die mehr als 10 Vollzeitmitarbeiter im Sinne des § 23 KSchG beschäftigen, und kleineren Betrieben unterschieden werden. In kleineren Betrieben können Arbeitgeber letztlich ohne Grund unter Einhaltung der Kündigungsfrist Arbeitsverhältnisse kündigen. In größeren Betrieben besteht die Möglichkeit einer solchen Kündigung ohne Kündigungsgrund nur, wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate besteht. Ansonsten muss der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG haben. Sollte der Betrieb keine Arbeit auf Grund des Sturms haben, könnte ein sogenannter betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen. Dieser setzt voraus, dass der Arbeitsplatz dauerhaft weggefallen ist. Ein solcher Fall wird nach dem jetzigen Sturm wohl nur dann vorliegen, wenn der Betrieb dauerhaft eingestellt werden soll. Soll der Betrieb in absehbarer Zeit, zum Beispiel nach einer Renovierung wieder fortgeführt werden, ist der Arbeitsplatz nicht dauerhaft entfallen, so dass eine Kündigung unzulässig wäre, da kein Kündigungsgrund vorliegt.
Bei befristet angestellten Mitarbeitern kann eine Kündigung grundsätzlich bis zum Ablauf der Befristung unzulässig sein, wenn im Arbeitsvertrag nicht die Möglichkeit einer Kündigung geregelt wurde.
Außerordentliche (fristlose) Kündigungen dürften vorliegend grundsätzlich überhaupt nicht zulässig sein.
Arbeitnehmer sollten insbesondere beachten, dass eine Regelung zwischen ihm und Arbeitgeber, nach welcher das Arbeitsverhältnis zunächst enden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder neu begründet werden soll, zu erheblichen Nachteilen führen kann. Denn in diesen Fällen führt der Arbeitnehmer eine Arbeitslosigkeit selbst herbei, was voraussichtlich zu einer Sperrzeit bzgl. des Arbeitslosengeld führen wird. Das bedeutet, der Arbeitnehmer erhält über einen längeren Zeitraum (bis zu 3 Monate) kein Arbeitslosengeld.
Sollte die Beendigung des Arbeitsverhältnis im Raum stehen, sollten sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber individuell informieren, ob eine Kündigung im konkreten Fall zulässig ist.
Was ist bei unmittelbar durch den Sturm verursachten Personenschäden bei Arbeitnehmern zu beachten
Sollten Arbeitnehmer während der Arbeit durch den Sturm verletzt worden sein, dürfte es sich um einen Arbeitsunfall handeln. Es sollte daher (spätestens) eine Meldung innerhalb von drei Tagen bei der zuständigen Stelle (z.B. gesetzliche Unfallversicherung, Berufsgenossenschaft) erfolgen. Die Meldung muss grundsätzlich vom Arbeitgeber vorgenommen werden.
Wenn Sie noch in einer Beschäftigung sind, aber wissen, dass Ihr Arbeitsverhältnis bald endet, zum Beispiel wenn Sie eine Kündigung erhalten haben oder das Arbeitsverhältnis auf Grund einer Befristung enden wird, sollten Sie sich umgehend arbeitsuchend melden. Eine Obliegenheit zur Arbeitssuchendmeldung besteht insoweit insbesondere nach § 38 SGB III. Halten Sie die dort geregelten Vorgaben nicht ein, drohen Ihnen negative Konsequenzen beim Arbeitslosengeld.
Seit dem 01.01.2022 beteht neben den bereits bestehenden Möglichkeiten der Meldung vor Ort in der Agentur für Arbeit, der telefonischen Meldung unter der Telefonnummer 088-4555500 und der schriftlichen Meldung, die Möglichkeit, sich online bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden (https://web.arbeitsagentur.de/). Hier müssen Sie jedoch die Online-Funktion Ihres Personalausweises freigeschaltet haben und ein entsprechendes Kartenlesegerät besitzen, um den Antrag stellen zu können.
Tipp: Da Ihnen Sanktionen in Hinblick auf Ihr Arbeitslosengeld drohen, wenn Sie die Vorgaben des § 38 SGB III nicht einhalten, sollten Sie immer versuchen, einen Nachweis für die Arbeitssuchendmeldung zu haben. Im Falle der telefonischen Meldung ist das meistens nicht der Fall. In den meisten Agenturen für Arbeit haben Sie bei der Meldung vor Ort längere Wartezeiten einzuplanen oder es gelten sogar ggfls. auf Grund der Corona-Pandemie nur eingeschränkte Öffnungszeiten bzw. Zugangsmöglichkeiten. Es bietet sich daher grundsätzlich an, die Meldung schriftlich zu verfassen und von einem Boten bei der Agentur für Arbeit abgeben zu lassen. Einschreiben könnten gglfs. In Hinblick auf § 38 SGB III zu spät eintreffen und sollten daher vermieden werden. Die neue Möglichkeit der Agentur für Arbeit der Onlinemeldung bietet sich jetzt auch an, um einen Nachweis zu erhalten. Jedoch ist hierbei die Zugangsvoraussetzung einer Freischaltung des neuen Personalausweises und eines Kartenlesegeräts ein Kriterium, das viele nicht erfüllen können.